Kirchenglocken

75 Jahre Kirchenglocken (1946 – 2021)

Zum Schweigen gebracht…
Am Totensonntag, den 22. November 1931, läuteten in der neuen Friedhofskapelle in Baden zum ersten Mal die Glocken und riefen die Gemeinde zur Einweihungsfeier.
Es war den Glocken nicht lange vergönnt, die Gläubigen zum Gebet zu rufen und ihnen vom Frieden zu verkünden. Obwohl in der Mitte des 20. Jahrhunderts für Kriegszwecke nun wirklich nicht mehr tauglich, beschlagnahmte man die Glocken im Zweiten Weltkrieg. Selbst historisch bedeutende Glocken wurden auf dem Glockenfriedhof im Hamburger Hafen „zur Stärkung der deutschen Metallreserve für Zwecke der Kriegsführung auf lange Sicht“ gelagert und später zerstört.
Der wahre Grund für die Beschlagnahmung der Geläute aber war weit abgründiger. Viele Menschen – und nicht nur Christen – hatten eine emotionale Bindung zu den Glocken. Ihr Klangraum war ihre Heimat. Die identitätsstiftende Glocke war eine ernst zu nehmende Gefahr. Hier verkündete jemand eine Botschaft, ohne dass man ihn beim Wort nehmen konnte. Die Glocke, Stimme des sprachlos gewordenen Wortes, musste zum Schweigen gebracht werden.
Etwa 50.000 deutsche Kirchenglocken und noch einmal 30.000 aus den von der Wehrmacht besetzten Gebieten kamen nicht mehr auf ihre Türme zurück. Innerhalb von 30 Jahren wurden 150.000 Glocken vernichtet.

…und zum Leben erwacht!
Fast – Gott sei Dank nur fast – wäre es ihnen gelungen. Doch dem tausendjährigen Reich blieb, wie den französischen Revolutionären, nicht genügend Zeit, den Menschen ihre religiöse, sinnliche und emotionale Beziehung zu ihren Glocken zu nehmen. Schon bald nach Kriegsende wollten die Gemeinden trotz größter materieller Not ihre Glocken wieder läuten hören.

Zu Ehren und zum Andenken an seinen Vater August Grüttert, der Uhrmachermeister war, wurden der Gemeinde Baden von Carl Grüttert neue Glocken gestiftet.
Zitat vom Uhrmachermeister Carl Grüttert: „Aber könnt ihr euch eine Kirche ohne Glocken vorstellen? Der Krieg ist endlich zu Ende, und neue Glocken sollen für den Frieden läuten! So habe ich 1946 eine Glockengießerei in Apolda in Thüringen beauftragt zwei neue Glocken zu gießen.
Die Bronzeglocken haben ein Gewicht von 70 kg und 120 kg und wurden von der Fa. Franz Schilling & Söhne gefertigt. Carl Grüttert hatte in die große Glocke das zeitlose Jesuswort „ICH LEBE“ und in die kleine Glocke die Sprucherweiterung „IHR SOLLT AUCH LEBEN“ einarbeiten lassen. Es waren die ersten Glocken, die 1946 in Apolda gegossen wurden.
Die Glocken kamen also aus der sowjetischen in die britische Zone für einen deutschen Auftraggeber aus der amerikanischen Zone (Bremen).
Die Ankunft der neuen Glocken wurde zum Triumphzug. Sie waren Symbol für die Wiederkehr von Frieden, Freiheit und Menschenwürde.
Bevor sie in den Turm gehievt wurden, mussten dessen morsche und teilweise fehlende Verbretterung ersetzt werden. Durch Beziehungen kam man an Aluminiumplatten der Flugzeugwerke Fokke-Wulf, Außenlager Langwedel, heran und konnte damit den Turm verkleiden, der danach dezent silbergrau wirkte.
Leider konnte Carl Grüttert das nicht mehr miterleben, da er am 21. März 1946 im Alter von 85 Jahren verstarb. Die Familie Grüttert ist auf dem Friedhof Baden beigesetzt. „Uhrmacher-Meister Grüttert war ein fleißiger Handwerker. Aus kleinen Anfängen und mit viel Geschick als Kaufmann konnte er auf ein erfolgreiches Lebenswerk zurückblicken.“ Die Grabstätte mit einem sehr großen Grabstein befindet sich unmittelbar am Hauptweg zur Kirche in Nähe des Ehrenfriedhofes und wird zu Ehren der Familie immer noch gepflegt.

Bilder

Glockenturm bekommt kupferne Weltkugel, 1990